Jetzt ist es offiziell: MediaMarkt und Saturn gehören nicht mehr zu Deutschland – sie gehören JD.com. Einem chinesischen Tech-Konzern, der längst keine Handelsplattform mehr ist, sondern ein Logistik- und Datenimperium. Für rund 2,2 Milliarden Euro hat man den größten Elektronik-Händler Europas aus der Hand gegeben. Ein Preis, der nicht einmal den Immobilienwert der Standorte widerspiegelt..
Und mitten in diesem strategischen Ausverkauf steht das Bundeskartellamt. Mit der Gelassenheit eines Behördenapparats, der Märkte nur noch in statischen Zahlenkolonnen sieht, erklärt es die Übernahme für „unproblematisch“. Begründung: JD.com sei in Deutschland bisher kaum präsent – also gebe es „keine Überschneidungen im Wettbewerb“.
Diese Argumentation zeigt vor allem eines: Die Wettbewerbshüter haben den Wettbewerb, wie er heute funktioniert, nicht verstanden.
Ein Tech-Gigant übernimmt – und die Behörde zählt Marktanteile von gestern
JD.com ist kein Käufer wie jeder andere. Der Konzern ist das Produkt einer Krise – und eine gnadenlos effiziente Digitalstrategie. Während SARS 2003 den stationären Handel lahmlegte, verlagerte Gründer Richard Liu sein Geschäft ins Internet. Was folgte, war ein rasanter Aufstieg:
- vertikale Integration vom Hersteller bis zur Haustür.
- ein eigenes Logistiknetzwerk,
- KI-gestützte Vertriebsstrukturen,
- Echtzeit-Datenanalysen,
Heute liefert JD.com in China am selben Tag, oft in wenigen Stunden. Wer ein solches System nach Europa bringt, verändert Märkte nicht – er ersetzt sie durch eine eigene Infrastruktur.
Das Kartellamt ignoriert das. Es prüft, ob JD.com im deutschen Elektronikhandel bereits groß genug ist, um gefährlich zu wirken – und übersieht, dass der Konzern gerade deshalb Ceconomy gekauft hat, um genau das zu werden. Es prüft Marktanteile von gestern und übersieht die Machtmechanismen von morgen.
Das Miele-Szenario: Wenn der Händler zugleich Importeur ist
Der Kern des Problems ist simpel: Wer den Vertrieb kontrolliert, kontrolliert den Markt.
Schon heute nutzt JD.com in China ein Mischmodell aus Direktverkauf und Marktplatz. Der Konzern entscheidet, welche Marken Sichtbarkeit bekommen – und welche verschwinden.
Übertragen auf MediaMarkt und Saturn heißt das: Du willst eine Miele-Waschmaschine kaufen. Das Topmodell. Deutsche Wertarbeit. Doch der Verkäufer bedauert: „Nicht mehr im Sortiment. Herstellerseitige Engpässe, heißt es.“ Stattdessen steht eine neue Marke aus dem JD-Kosmos da – halber Preis, mehr Garantie, aggressive Finanzierungsmöglichkeiten. 0%-Finanzierung, Sofortbonus, Zusatzgarantie – alles gesteuert vom neuen Eigentümer.
Wer glaubt, deutsche Marken könnten sich gegen diese Plattform-Macht wehren, sollte sich anschauen, was in China mit westlichen Produkten passiert ist, sobald JD und andere Giganten eigene Handelsketten und Eigenmarken aufgebaut haben.
Die Qualität chinesischer Produkte ist nicht das Problem. Das Problem ist die Machtkonzentration. Es geht darum, dass europäische Hersteller keine Chance haben, wenn der Marktbetreiber zugleich Importeur, Logistiker und Datenbesitzer ist.
Beschäftigte als Variable in einem Algorithmus
Offiziell ist von „Innovationen“ die Rede. Diese Innovationsversprechen haben in der Praxis einen klaren Namen: Rationalisierung.
Wenn JD.com sein System nach Europa bringt, wird sich der Charakter der Elektronikmärkte verändern:
- weniger Beratung,
- mehr Self-Checkout,
- automatisierte Lager,
- algorithmische Personalplanung.
Der klassische Verkäufer wird nicht mehr gebraucht. Was bleibt, sind wenige technische Rollen – IT, Wartung, Logistiksteuerung. Und die wenigen neuen Jobs, die entstehen, stehen selbst unter Druck – denn JD setzt in China längst auf KI-basierte Automatisierung. Diese Zukunft wird auch hier ankommen
Die Politik schweigt dazu. Das Kartellamt prüft solche Effekte erst gar nicht – sie liegen „außerhalb des Mandats“. Ein bequemer Satz, wenn man keine Verantwortung übernehmen will.
Der Elefant im Raum: China erhält ein Fenster in unsere Konsuminfrastruktur
Diese Übernahme ist kein normaler Deal. Es ist ein industriepolitischer Vorgang, der Deutschland und Europa angreifbar macht:
- Kontrolle über große Teile des Elektronik- und Haushaltsgerätemarkts,
- Zugriff auf Millionen Kundendaten,
- Einfluss auf Lieferketten,
- direkte Eintrittspunkte für chinesische Hersteller,
- potenzielle Abhängigkeit von einem einzigen Tech-Konzern.
Und das alles in einer Phase, in der China selbst seine Märkte abschottet und westliche Firmen unter massiven Druck geraten. Dass China seine Märkte abschottet, ist angesichts der amerikanischen Konfrontationspolitik wenig überraschend. Aber genau deshalb müsste Europa umso klarer definieren, welche strategischen Bereiche geschützt werden müssen.
Während andere Länder strategisch entscheiden, welche Bereiche sie schützen – Halbleiter, Logistik, Kommunikation –, überlassen wir den größten Elektronikhändler Europas einem ausländischen Datenkonzern, ohne eine einzige industriepolitische Frage zu stellen. Das ist kein Wettbewerb. Das ist Blindflug.
Fazit: Ein Lehrstück über politische Naivität – und wirtschaftliche Selbstentmachtung
Man kann diesen Deal auch so zusammenfassen: Deutschland verkauft das Tor zur eigenen Konsum-Welt – und merkt es nicht einmal.
Das Kartellamt sieht keinen Wettbewerbsnachteil.
Die Regierung hält sich heraus.
Die Wirtschaftsverbände schweigen.
Und währenddessen übernimmt ein globaler Player still und ohne Widerstand Strukturen, die entscheidend dafür sind, welche Produkte wir kaufen, zu welchen Preisen – und von welchen Herstellern. Wer glaubt, 2,2 Milliarden Euro seien viel Geld, hat nicht verstanden, was JD.com wirklich gekauft hat: Einfluss. Infrastruktur. Macht.
Deutschland hat sich billig verkauft. Und das Kartellamt hat noch den Stempel draufgesetzt.