Carsten Zinn über einen Kanzler, der schon vor Amtsantritt scheitert
Friedrich Merz hat es geschafft. Er wurde zum Bundeskanzler gewählt. Doch was auf dem Papier wie ein Erfolg aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein politischer Offenbarungseid – für Merz, für seine Partei und für die Stabilität der Demokratie in diesem Land.
Die Wahl war geheim, das Ergebnis jedoch spricht Bände: eine knappe Mehrheit, angeknackst durch Enthaltungen und unklare Lager. Statt eines kraftvollen Mandats ist da ein Kanzler, der auf Misstrauen gründet. Viele wollten Merz nicht – und haben ihn trotzdem gewählt. Aus Parteidisziplin, aus taktischem Kalkül oder schlicht aus Angst vor einer Alternative, die noch düsterer erscheint.
Aber wer Friedrich Merz gewählt hat, hat keine echte Lösung gewählt, sondern ein Problem auf Zeit vertagt. Merz steht für einen wirtschaftsliberalen Kurs, der soziale Spaltung in Kauf nimmt. Für eine Kultur des Abwertens, nicht des Einbindens. Für eine Politik, die Armut verwaltet, aber nicht bekämpft. Und für einen politischen Stil, der mehr auf Konfrontation als auf Ausgleich setzt.
Kanzler der Spaltung, nicht der Lösung
Schon seine Koalition ist ein Zweckbündnis aus politischer Müdigkeit – CDU/CSU und SPD: vereint im Ausschluss gegen die AfD, aber nicht im Willen zu gestalten. Es ist ein Bündnis der Ausgrenzung – nicht nur gegenüber Rechtsextremen, sondern auch gegenüber den sozial Schwachen, den Geflüchteten, den jungen Generationen, die etwas anderes fordern als mehr Autobahnen und mehr Polizei.
Die AfD wiederum jubelt nicht trotz, sondern wegen Merz’ Wahl. Denn sie weiß: Mit einem Kanzler Merz lässt sich die Union leichter spalten als mit jedem anderen. Seine Rhetorik, sein Mangel an Empathie, seine ideologischen Kanten – all das sind Einladungskarten an den rechten Rand. Wer an der Brandmauer rüttelt, darf sich nicht wundern, wenn sie irgendwann einstürzt.
Demokratie braucht mehr als nur Mehrheiten
Die Freude über Merz’ Scheitern bei der ersten Abstimmung war nur ein kurzes Aufflackern – verständlich, aber nicht zielführend. Doch auch sein späterer Wahlerfolg taugt nicht zum Anlass für Erleichterung. Denn ein Kanzler, der nicht verbindet, sondern trennt, ist keine Lösung für die Herausforderungen unserer Zeit. Er ist Teil des Problems.
Es wird viele gute Gründe geben, gegen diese Regierung zu protestieren – gegen ihre Politik der sozialen Kälte, gegen ihre symbolische Ausgrenzung von Minderheiten, gegen ihren Kuschelkurs mit der Wirtschaftslobby. Und genau das muss geschehen: Widerstand, der demokratisch, laut und entschlossen ist. Denn nur so lässt sich verhindern, dass dieser Pyrrhussieg zum Triumphzug der Demokratiefeinde wird.