Wenn Sicherheit zur Staatsräson wird | Warum Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) ein Beispiel für den neuen Sicherheitsstaat ist

Über den Dingen – Eine Drohne kreist über einem Regierungsgebäude. Symbol für den wachsenden Sicherheitsapparat im digitalen Zeitalter. | umgesetzt nach redaktionellem Konzept von Carsten Zinn

Daniela Behrens spricht ruhig, sachlich, fast versöhnlich. Sie warnt vor hybriden Bedrohungen, vor russischer Spionage, vor Drohnen über kritischer Infrastruktur. Ihre Worte klingen nach Verantwortung – nach einem Staat, der sich schützt, um seine Bürger zu schützen. Doch hinter der Sprache der Vernunft verbirgt sich eine neue politische Logik: Sicherheit ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sie wird selbst zum Zweck.

Was Behrens beschreibt, ist ein Land in Daueranspannung. Jede Drohne am Himmel, jeder Serverausfall, jedes Datenleck wird Teil einer „hybriden Kriegsführung“. Damit verschiebt sich der Fokus – von der realen Gefahr zum potenziellen Risiko. Die Unsicherheit selbst wird zum Motor der Politik. Der Staat definiert sich über seine Verteidigungsbereitschaft, nicht mehr über das Vertrauen seiner Bürger.

Die technokratische Versuchung

Behrens’ Antwort auf diese diffuse Bedrohung ist typisch für den politischen Mainstream unserer Zeit: mehr Technik, mehr Vernetzung, mehr Überwachung. Wenn sie von „gemeinsamen Lagebildern“ und einem „Drohnenabwehrzentrum“ spricht, meint sie eine umfassende infrastrukturelle und digitale Aufrüstung. Was fehlt, ist die gesellschaftliche Dimension – die Frage, wie sich Angst politisch produziert und welche Freiräume eine Sicherheitslogik verdrängt.

So verwandelt sich Verwaltung in Verteidigung. Daten werden zum Ersatz für Dialog. Der Schutz des Systems tritt an die Stelle des Schutzes der Freiheit. Es ist eine stille Verschiebung, kaum spürbar, aber folgenschwer: Sicherheit als Dauerprojekt rechtfertigt immer mehr Kontrolle, ohne dass je überprüft wird, ob diese Kontrolle tatsächlich sicherer macht.

Die neue Innenpolitik: digital, effizient – und gefährlich

Mit der geplanten Novelle des niedersächsischen Polizeigesetzes will Behrens der Polizei weitreichende technische Möglichkeiten geben – Zugriff auf biometrische Daten, Einsatz von Künstlicher Intelligenz, digitale Überwachung im großen Stil. Es klingt modern und effizient, und doch folgt es einer altbekannten Logik: Wenn das Vertrauen schwindet, wächst der Apparat.

Der Preis dafür ist die Verlagerung von Verantwortung. Entscheidungen werden von Algorithmen vorbereitet, Datenbanken liefern Verdachtsmuster, und aus Prävention wird schnell Kontrolle. Die Polizei 4.0 ist längst keine Vision mehr, sondern Realität – eine, die sich politisch kaum noch hinterfragen lässt, weil sie sich im Mantel der Vernunft kleidet.

Moralische Rhetorik, sicherheitspolitische Praxis

Behrens grenzt sich klar von der AfD ab, spricht von „Hass und Hetze“ und verteidigt die Demokratie. Das ist richtig und notwendig. Doch während sie die autoritäre Sprache der Rechten kritisiert, übernimmt sie deren Sicherheitsdenken. Angst wird nicht mehr bekämpft, sondern verwaltet. Kontrolle wird zur moralischen Tugend erklärt.

So entsteht ein paradoxes Bild: Die Demokratie verteidigt sich, indem sie sich selbst misstraut. Der Staat reagiert auf gesellschaftliche Verunsicherung mit Strukturen, die diese Verunsicherung zementieren. Es ist eine Politik der Dauerbeobachtung – legitimiert durch die Angst, legitimiert durch jene Sprache, die „Sicherheit“ sagt und „Misstrauen“ meint.

Die SPD und der Verlust des Maßes

Behrens steht exemplarisch für eine SPD, die sich von ihrer alten sozialen Idee entfernt hat. Statt soziale Sicherheit zu organisieren, organisiert sie Sicherheitsstrukturen. Statt Solidarität zu fördern, spricht sie von „gemeinsamen Strategien“ im Inneren. Wo früher Aufklärung und Teilhabe standen, herrscht jetzt Systemvertrauen und Datensammlung.

Die leise Militarisierung beginnt nicht in Kasernen, sondern in Köpfen – dort, wo der Gedanke entsteht, dass ein Staat umso stärker ist, je mehr er weiß.

Fazit

Daniela Behrens ist keine Hardlinerin, keine Populistin, keine Demagogin. Gerade deshalb ist sie gefährlich: weil sie die neue Sicherheitslogik glaubwürdig verkörpert – sachlich, modern, empathisch. Sie steht für eine Politik, die Freiheit nicht mehr als Risiko versteht, sondern als potenzielle Schwachstelle.

Die Demokratie braucht Sicherheit. Aber sie braucht noch dringender Menschen, die sich trauen, Sicherheit zu begrenzen.

Impuls zum Schluss

Sicherheit ist wichtig. Doch wer sie absolut setzt, verliert das, was sie eigentlich schützen soll: Vertrauen, Offenheit, Menschlichkeit. Behrens liefert das Lehrstück dafür – präzise, freundlich, unbeirrt.

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