Die erste Generaldebatte im Bundestag unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) war kein demokratischer Höhepunkt, sondern ein Schlagabtausch der Frontalrhetorik, der die tiefe politische Spaltung im Land offenbarte. Inmitten von Reizwörtern wie „Schuldenorgie“, „soziale Kälte“ und „Bankrotterklärung“ offenbart sich ein erschütterndes Bild: Der Bundestag wirkt zunehmend wie eine Echokammer für Inszenierungen, weniger als Ort ernsthafter Politikgestaltung.
Merz’ Realität: Führungsverantwortung und Schuldenlogik
Kanzler Friedrich Merz bemühte sich um Optimismus – „Mut und Zuversicht“ lautete seine Formel. Zugleich präsentierte er ein Programm massiver Kreditaufnahme: 81,8 Milliarden Euro neue Schulden im Kernhaushalt, dazu über 60 Milliarden aus „Sondertöpfen“ . Begründet wird das mit NATO-Aufrüstung und der Rolle Deutschlands als „Führungsnation“. Dass dies auf Kosten sozialer Leistungen geht, wird ausgeblendet.
Der Kanzler betonte, seine Regierung habe „viel angepackt“ – allerdings nicht dort, wo es brennt. Während Milliarden für die Bundeswehr fließen, werden Bürgergeld, Elterngeld und Eingliederungshilfen gekürzt. Das ist kein “Umbau”, sondern ein Ausverkauf sozialer Sicherung.
Weidel (AfD): Zynische Kritik ohne Perspektive
Oppositionsführerin Alice Weidel (AfD) machte ihrem Ruf alle Ehre – mit persönlichen Angriffen, pauschaler Verachtung und der Anklage eines „Wahlbetrugs“. Merz sei ein „Papierkanzler“ und seine Politik „eine Schuldenorgie“ . Doch jenseits der Provokation blieb sie jede inhaltliche Alternative schuldig – außer dem altbekannten migrationspolitischen Populismus.
Die Linke: Deutlich, aber politisch isoliert
Die deutlichste Kritik kam von der Linksfraktion. Heidi Reichinnek und Ines Schwerdtner warnten vor einer Politik für die Reichen und gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Ihre Bilanz: Panzer statt Kitas, Steuergeschenke für Superreiche statt Investitionen in sozialen Wohnungsbau .
Mit Zahlen unterlegt forderte Schwerdtner eine Vermögenssteuer, die jährlich bis zu 120 Milliarden Euro einbringen könne – das 27-Fache der Kürzungen beim Bürgergeld . Doch diese vernünftige Idee bleibt chancenlos im Lärm der Aufrüstungsrhetorik.
Die Grünen: Kritik aus der Opposition
Katharina Dröge (Grünen-Fraktionschefin) übte deutliche Kritik an der Klima- und Sozialpolitik der schwarz-roten Regierung. Sie warf der Koalition „Tatenlosigkeit“ beim Klimaschutz vor und sprach von einer „Bankrotterklärung“ angesichts fossiler Subventionen, fehlender Investitionen in den Schienenausbau und der sozialen Schieflage im Haushalt . Ihre Mahnungen verdeutlichen: Die Grünen sehen sich in der Opposition als Stimme für ökologische und soziale Verantwortung – doch ihre Wirkkraft bleibt begrenzt in einem Parlament, das von Aufrüstung und Schuldendynamik dominiert wird.
Zwischen Kriegshaushalt und Symbolpolitik
Die Verteidigungsausgaben steigen auf 62,4 Milliarden Euro. Als „Sicherheitsmaßnahme“. Als Antwort auf die Ukraine. Als Bekenntnis zur NATO . Doch der Preis ist hoch: weitere soziale Spaltung, politische Entfremdung und eine erschreckende Abkopplung der politischen Elite von den Lebensrealitäten im Land.
Demokratie in der Krise
Leere SPD-Bänke im Plenarsaal, Zwischenrufe, Rassismusvorwürfe, Ordnungsrufe gegen Weidel: Der Zustand der Debatte ist symptomatisch für den Zustand der Demokratie . Die Generaldebatte zeigt nicht etwa, wie Demokratie gelebt wird – sie zeigt, wie sie entgleist.
Fazit: Ein Parlament im Ausnahmezustand
Was bleibt, ist der Eindruck einer politischen Klasse, die sich nur noch rhetorisch bekämpft, aber gemeinsam an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeipolitisiert. Während die Schere zwischen Reich und Arm weiter auseinandergeht, wird Aufrüstung als „Verantwortung“ verkauft und soziale Sicherheit als Belastung abgestempelt.
Es ist höchste Zeit, die Debatte zurückzuholen – dorthin, wo sie hingehört: in die Öffentlichkeit. Und es braucht eine Öffentlichkeit, die sich nicht mit PR-Phrasen abspeisen lässt.