Wenn fast die Hälfte sagt: Wir wären bereit gewesen | Ich habe lange überlegt, ob ich zu diesem Thema etwas schreibe. Aber dann kam der 12. Mai – „Tag der Pflegenden“ – und mit ihm das doppelte Signal, das ich nicht unkommentiert stehen lassen will.
Während engagierte ver.di-Kolleginnen und -Kollegen an Krankenhäusern Flugblätter verteilten und für bessere Bedingungen in der Pflege warben, verkündete die Bundestarifkommission gleichzeitig das endgültige Ergebnis der Mitgliederbefragung zum Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst. Keine Verbindung zwischen beidem. Keine gemeinsame Botschaft. Kein Schulterschluss. Absicht? Vielleicht. Aber eines ist klar: Der Kontrast konnte kaum deutlicher sein.
Denn dieser Tarifabschluss – so wie er jetzt steht – ist kein Grund zum Feiern. 52,2 Prozent haben zugestimmt. Das nennt ver.di eine „eher knappe Mehrheit“. Ich nenne das ein Warnsignal. Fast die Hälfte war bereit, weiterzugehen, weiterzustreiken, weiterzukämpfen. Was sagt das über die Stimmung in den Betrieben? Und was über das Vertrauen in die eigene Gewerkschaftsführung?
Und als wäre das nicht genug, kommt mit dem Abschluss auch noch der „freiwillige“ Einstieg in die 42-Stunden-Woche daher. Freiwillig – ein Wort, das in Tarifverträgen oft nur die Vorstufe zur nächsten Pflicht ist. Wir kennen das Spiel. Heute noch Entscheidung der Einzelnen, morgen Standardregelung. Das ist nicht einfach eine Kröte, die man schlucken kann. Das ist eine Weichenstellung. Und zwar in die falsche Richtung.
Es geht nicht nur um Frust. Es geht um Kräfteverhältnisse. Mit diesem Abschluss werden die Bedingungen für zukünftige Kämpfe schlechter. Nicht besser. Die, die bereit waren, weiter zu kämpfen, wurden ausgebremst. Die Streikbereitschaft, die da war, wurde nicht genutzt. Und so entsteht ein Vakuum – das die Arbeitgeber zu füllen wissen.
Dabei steht der eigentliche Angriff noch bevor. Die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz hat bereits angekündigt, wo es langgeht: Kürzungen. Kahlschlag. Kommunen als erste Opfer. Und wir wissen: Wenn in Rathäusern und Pflegeheimen gespart wird, dann spart man nicht an Excel-Tabellen, sondern an Menschen.
Frank Werneke, der ver.di-Vorsitzende, hat das schon erkannt. Eine der kommenden „Schlachten“, sagt er, wird die um die Kommunalfinanzen sein. Richtig. Aber erkennen allein reicht nicht. Die entscheidende Frage ist: Bereiten wir uns darauf vor? Rüsten wir uns? Oder vertrösten wir uns?
Denn was jetzt nötig ist, ist Klartext. Wer fast die Hälfte der eigenen Mitglieder hinter sich hat – bereit, für ihre Rechte zu streiken –, darf diese Energie nicht in Beschwichtigung und Tarifrhetorik versenken. Wir haben es nicht mit Sozialpartnern zu tun, sondern mit Gegnern, die genau wissen, was sie wollen: längere Arbeitszeiten, weniger Personal, geringere Löhne. Und das alles auf dem Rücken derer, die das System am Laufen halten.
Wenn wir nicht anfangen, genau das auch laut zu sagen – in den Betrieben, in den Gremien, in der Öffentlichkeit –, dann verlieren wir die nächste Runde, bevor sie begonnen hat.